02.10.2018
 4 Minuten

Was ist ein Inhouse-Werk?

Von Tom Mulraney
Was ist ein Inhouse-Werk?

Patek Philippe 5327Foto: Bert Buijsrogge

Die Uhrenindustrie erscheint einem manchmal wie eine ganz eigene Welt. Mit eigenen Regeln und eigener Sprache. So zum Beispiel, wenn es um Begriffe wie „Inhouse-Werk“ oder „Manufakturkaliber“ geht. Wie sind diese Begriffe genau definiert? Dazu gibt es unterschiedliche Auffassungen und eine allgemeingültige Definition scheint es nicht zu geben. Bedeutet „Inhouse-Werk“, dass tatsächlich mehr Qualität dahintersteckt oder ist es ein reiner Marketing-Begriff? Nicht ganz leicht zu beantworten, aber versuchen wollen wir es trotzdem.

Beginnen wir mit dem Versuch einer Definition, auch wenn das tatsächlich nicht so einfach ist. Allgemein wird ein Inhouse-Werk als ein Werk bezeichnet, das vom Hersteller der Uhr selbst entwickelt, designt und gefertigt wurde. Das klingt erstmal nachvollziehbar und richtig. Doch wie genau ist diese Definition? Ein einfaches Automatikkaliber mit beispielsweise drei Zeigern besteht allein schon aus Hunderten von Komponenten. Müssen nun all diese laut Definition komplett „inhouse“ gefertigt sein, um die entsprechende Bezeichnung tragen zu dürfen?

Viele dieser Komponenten, wie z.B. Haarfedern, sind so speziell, dass es für die Marken viel zu aufwändig wäre, sie eigens zu produzieren. Sie werden also eingekauft, etwa von Produzenten in der Schweiz, in Deutschland oder auch in Fernost. Die Herkunft dieser Einzelteile von Uhren wird von den Herstellern nicht angegeben. Es ist also eigentlich unmöglich herauszufinden, was an einer Uhr inhouse produziert wurde und was nicht. Sogar das Prädikat „Swiss-Made“ verlangt nur, dass mindestens 60% der Herstellung einer Uhr in der Schweiz erfolgt ist.

Hinzukommt die Komplexität einiger Unternehmensstrukturen. So gehört Nouvelle Lemania SA zu Breguet und Frédéric Piguet SA zu Blancpain, um zwei Beispiele zu nennen. Hier spricht man von „Inhouse-Werken“, da die Werke von Unternehmen hergestellt werden, die zur Marke gehören. Die Werke werden aber wiederum auch an andere Firmen geliefert. Diese werden als „Ebauche“ bezeichnet, da sie nur die Basis-Komponenten, wie Werkplatinen, Brücken und Antriebsfedern besitzen. Diese Basiswerke bekommen dann inhouse ein Finish von der einkaufenden Marke sowie in den meisten Fällen ein neues Label. Nicht immer werden die Basiswerke dabei entsprechend referenziert.

Ein weiterer Begriff wird in der Uhrenindustrie verwendet, dessen Bedeutung der von „inhouse“ sehr nahe kommt, häufig aber falsch verwendet wird: Das „Manufakturkaliber“. Ein Werk, das extern eingekauft wurde, aber exklusiv vom Hersteller in einer speziellen Variante für ein Modell verwendet wird. Wichtig ist hier, dass es sich um eine „spezielle Variante“ handelt. Es bedeutet, dass es in dieser Form nur in einem Uhrenmodell verbaut wird. Dass ganz ähnliche Versionen bei anderen Uhren verwendet werden, ist aber keinesfalls ausgeschlossen.

Das vielleicht bekannteste Beispiel für die Verwechslung von Manufakturkaliber und Inhouse-Werk ist das des englischen Herstellers Bremont. Im Jahr 2014 stellte die Marke ihre Bremont Wright Flyer vor. Laut Angabe betrieben vom ersten Inhouse-Werk, selbst entwickelt und hergestellt in der eigenen Manufaktur. Kurz darauf musste Bremont jedoch zurückrudern, da einigen Experten schnell aufgefallen war, dass das Werk dem Arnold & Son’s Kaliber 6003, hergestellt von La Joux-Perret, sehr ähnlich war.

Bremont stellte klar, dass sie zwar mit LJP zusammengearbeitet hatten, sich das verwendete Werk aber in vielem vom Kaliber 6003 unterschied. Außerdem wären viele der Komponenten im UK inhouse gefertigt worden. Richtig überzeugt hat dieses Statement nicht und es gab erneut Anlass zur Diskussion über die korrekte Definition des Begriffs „inhouse“, schienen doch selbst die Hersteller uneinig über die richtige Verwendung. Es bleibt auf jeden Fall ein warnendes Beispiel für eine überambitionierte Marketing-Strategie.

Fakt ist, dass es sehr wenige wirklich vertikal-integriert produzierende Uhrenhersteller gibt. Und auch die, die es sind oder waren, lassen hin und wieder Werke extern zuliefern oder verwenden Werke aus der jeweiligen Firmengruppe. Jaeger-LeCoultre zum Beispiel gehört zur Richemont-Gruppe und liefert Werke an Audemars Piguet. Rolex verbaute in der berühmten Daytona bis ins Jahr 2000 extern gefertigte Werke (von Zenith und Valjoux). Ein Werk von Grund auf zu entwickeln und herzustellen ist extrem teuer und zeitaufwändig. Wir reden hierbei über Jahre, nicht über Monate. Alles immer „inhouse“ zu machen, rechnet sich einfach zumeist nicht.

Was ist eigentlich mit Werken, die in Kooperation mit anderen Marken entwickelt werden? In 2017 stellte Tudor die viel diskutierte Heritage Black Bay Chronograph vor. Verbaut wurde hier das vom Hersteller genannte „Manufacture Tudor“ MT581. Im Grunde genommen handelt es sich hierbei um ein Breitling B01 Chronographen-Werk mit einigen wenigen technischen und äußerlichen Updates. Im Gegenzug erhielt Breitling Rechte an Tudors Inhouse-Kaliber MT5612. Ein 3-Zeiger-Werk, das nach Modifizierung die Bezeichnung „B20“ erhielt. Technisch gesehen sind beide „Manufakturkaliber“, oder eben „inhouse“, obwohl sie von einem anderen Hersteller gefertigt wurden, als dem der auf dem Zifferblatt steht. Beide Marken waren übrigens sehr offen für diese Art der Zusammenarbeit. Man hätte gelernt aus den Fehlern, die TAG Heuer und Bremont vor ihnen gemacht hätten.

Die wichtigste Frage aber: Ist ein Inhouse-Werk besser? Die Antwort ist einfach. Nein, ist es nicht unbedingt. Zwar verleiht es der Uhr ein bisschen mehr Exklusivität, ob es aber so zuverlässig und robust ist wie ein millionenfach produziertes und bewährtes ETA-Werk zum Beispiel, ist damit keinesfalls gesagt (lesen Sie mehr über ETA-Werke hier). Auch bei Werken gilt: Informieren Sie sich, recherchieren Sie, ob das Inhouse-Werk der Uhr, die Sie vielleicht kaufen möchten, auch wirklich gut ist. Gab es Probleme damit in der Vergangenheit, welche Erfahrungen haben andere Käufer gemacht? Bezahlen Sie vielleicht nur eine Exklusivität, die zu einer Marketing-Strategie gehört? Und wie „inhouse“ ist das Werk tatsächlich? Es mag verwirrend sein und einfach ist es nicht. Aber auch das gehört eben mit dazu – zur Faszination besonderer Uhren, ihrer Technologie und Geschichte.

Lesen Sie mehr

Manufakturwerk oder Standardkaliber von ETA und Co. ?

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Über den Autor

Tom Mulraney

Ich wuchs in den 1980er- und 90er-Jahren in Australien auf. In der Stadt, in der ich lebte, gab es keine nennenswerte Uhren-Szene. Lediglich ein Händler hatte …

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